Verletztsein: Die neue Schwärmerei

Spreche ich mit Deutschen aus Deutschland, komme ich mir (nach fünf Jahren Ausland) vor wie der berühmte Elefant im Porzellanladen. Ein lieber alter Freund fragte zum Beispiel triumphierend, ob ich denn jetzt noch die AfD wählen könne, nachdem aufgedeckt worden sei, dass man Menschen mit der falschen Hautfarbe deportieren wolle.

Also antworte ich und lege meinen Standpunkt dar, dass diese Aussage von Correctiv längst gerichtlich widerlegt ist und komme kaum richtig in Fahrt, da halte ich erschrocken inne, da meinem Gegenüber, immerhin einem gestandenen Mann, die Tränen in den Augen stehen!

Er ist verletzt. Ich hätte ihn mit meinen Worten verletzt und ich bin sprachlos, was in den vergangenen fünf Jahren aus den Deutschen geworden ist. So schlimm war es noch nicht, als ich wegging.

„Worte können weit mehr verletzen als Taten“ muss ich mir anhören.

Nun ja. Denke ich mir. Da sagt jemand sein übliches „Nazi-Aluhut-rechter-Arsch“ zu mir und irgendwo drinnen in meiner Seele ist da auch ein kleines Flämmchen, da brennt es, da tut es immer noch ein bisschen weh. Würde man da nun ordentlich schüren, erst kleines Holz, dann große Scheite auflegen, dann würde aus dem kleinen Flämmchen ein Feuer und aus dem kleinen Schmerz ein ordentliches Verletztsein. (Und manchmal raste auch ich aus, das gebe ich zu.)

Die Frage ist jedoch: Muss das sein, muss man sich das antun? Oder ist es nicht gesünder, sich auf alte Tugenden zu berufen, auf Männlichkeit, Selbstzucht, Gelassenheit und nicht dieses Flämmchen des Verletztseins in der eigenen Seele zu schüren? Ein bisschen erinnert mich dieser neue Kult an die Schwärmerei der frühen Goethezeit, nur ins Negative gewendet: Es nervt. Und zwar erheblich.

Bild: Lotte und Werther

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