Rechte Normalität
In der alten Bundesrepublik war „rechts“ etwas ganz Normales. Es gab auf der einen Seite rechte Parteien, das waren CDU und CSU und auf der anderen Seite die SPD und später dann noch die Grünen. Diese bezeichnete man als links. Die FDP spielte damals so etwas wie ein Zünglein an der Waage und schwankte zwischen den beiden Lagern.
Wichtig aus heutiger Perspektive ist, dass die CDU damals tatsächlich als rechts galt und auch als rechte Partei wahrgenommen wurde. „Rechts“ war damals noch kein pejorativer Schandbegriff wie heute, der eine soziale Stigmatisierung nach sich zieht, sondern bildete geradezu die politische Mitte. Viele Forderungen der AfD heute und darüber hinaus, z. B. keine Bürgschaften für andere EU Staaten zu übernehmen oder die Migration in den Sozialstaat zu begrenzen, waren innerhalb der größten deutschen Volkspartei CDU, die teilweise bei Wahlen die absolute Mehrheit errang, bis zur Jahrtausendwende ganz normale Ansichten. Selbst innerhalb der SPD gab es damals noch einen rechten Flügel und die Aussage eines Helmut Schmidts, multikulturelle Gesellschaften würden nicht funktionieren und zwangsläufig in einer Diktatur enden, erregten damals an sich kein sonderliches Aufsehen.
Die „geistig moralische Erneuerung“ von der Helmut Kohl in den 1980ern sprach, erzeugte sogar so etwas wie eine Aufbruchsstimmung unter Rechten und Konservativen. Es ging damals darum, die immer stärker werdende kulturelle Hegemonie der 68er wieder zurückzudrängen und den aufkommenden Kulturmarxismus zu bekämpfen. Wie jedoch Helmut Schmidt in einem Interview 2012 treffend feststellte, setzte Helmut Kohl die sozialdemokratische Politik seines Amtsvorgängers einfach nur fort. Die viel beschworene „geistig moralische Wende“ war gegen die geballte Macht der Massenmedien nicht mehr durchsetzbar.
Das Dogma der Mitte und die geistige Enge der alten Bundesrepublik
Gleichzeitig herrschte in der frühen Bundesrepublik das Dogma der Mitte. Wer sich innerhalb des erlaubten Rechts-links-Spektrums bewegte, galt als etablierter Demokrat. Wer sich jedoch nach Ansicht der Etablierten zu weit von der Mitte entfernte, wurde als rechts- oder linksextrem stigmatisiert und als ein Feind der Demokratie verboten oder marginalisiert. Exemplarisch hierfür sind die beiden Parteiverbote die es bisher in Geschichte der Bundesrepublik gab: Einmal gegen die als sowjethörig eingeordnete KPD, die 1956 verboten wurde und dann gegen die SRP (Verbot 1952), die man als Nachfolgeorganisation der Nationalsozialisten einstufte.
Doch nicht nur die heute noch beliebte Rede von der wehrhaften Demokratie stammt aus dieser Zeit. Die beiden Verbote sowohl einer nationalsozialistischen, als auch einer kommunistischen Partei prägten den bis zur Jahrtausendwende relativ friedlichen innenpolitischen Kurs, den die Bundesrepublik trotz Studentenbewegung und Roter Armee Fraktion (RAF) bis in die Anfangsjahre der Amtszeit Angela Merkels nahm. Es war der Frieden einer zu Wohlstand gelangten, immer größer werdenden bürgerlichen Schicht. Selbst Arbeiterkinder konnten sich nun ein Studium leisten und in das Bürgertum aufsteigen. Ja, sogar die strenge Scheidung der Schichten löste sich im Verlauf der 1970er endgültig auf. Besonders eindrücklich ist dies am Beispiel der SPD zu verfolgen, die sich bis zur Jahrtausendwende von einer Arbeiterpartei zu einer Partei insbesondere der Beamten, Lehrer und Staatsbediensteten wandelte.
Man hatte also mit dem Verbot sowohl der Kommunisten, als auch der Nationalsozialisten bewusst der Wiederholung der sehr viel turbulenteren, kontroverseren aber auch geistig offeneren Weimarer Republik entgegengewirkt.
Das heißt aber auch: In Weimar war kulturell und politisch sehr viel mehr möglich, als in der frühen Bundesrepublik. Die Weimarer Republik besaß nicht nur eine vielschichtige Radikalopposition zum politischen System selbst. Sie war auch kulturell sehr viel produktiver, als es die Bundesrepublik jemals sein sollte.
Zwar war die Bundesrepublik genauso wie die vorangegangene Weimarer Republik ein durch Siegermächte aufoktroyiertes System. Die alte Bundesrepublik verlangte jedoch ähnlich wie Weimar weniger ein Bekenntnis zu ihrem System, sie verlangte vielmehr ein Bekenntnis zu ihrem, in den Anfangsjahren durch die Westalliierten handverlesenen Establishment. Das berühmte Bekenntnis zur Demokratie der Bundesrepublik war also weniger ein Bekenntnis zum System des Parlamentarismus, als ein Bekenntnis zu dem als demokratisch sich gebenden Establishment.
Die geistig-politische Enge dieses Establishments aus den Parteifunktionären der CDU, CSU, SPD und FDP, den verantwortlichen Intendanten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der großen Zeitungsverlage, führender Wirtschaftsverbände und teilweise auch der Kirchen, brachte zwar einerseits Sicherheit, andererseits jedoch war sie wichtiger Auslöser der Studentenunruhen der 68er, die mit ihrem Antiamerikanismus versuchten, die eigentlichen Machthaber zu treffen und deren Bewegung schließlich in den sogenannten Marsch durch die Institutionen mündete.
Aufbruch aus der geistigen Enge
Zumindest auf der vordergründigen Ebene kann der Marsch durch die Institutionen als friedliche Revolution von innen heraus verstanden werden. Es ging den 68ern darum, möglichst viele ihrer Vertreter in Schlüsselpositionen der Massenmedien, Behörden, Kirchen, Universitäten, Schulen und Verbänden unterzubringen und so, auf diesem Weg eine kulturelle Hegemonie zu erringen, die den revolutionären Umbau der Gesellschaft und die Schaffung einer neuen, besseren und geistig offeneren Welt erreichen wollte.
Spätestens seit den 1990ern ist dieses Ziel scheinbar erreicht und anstelle des engen, konservativ geprägten Weltbilds der alten Bundesrepublik, ist die Ideologie der politischen Korrektheit getreten, die mit ihren Forderungen nach Transgender, Antirassismus, offenen Grenzen, Klimarettung oder ihrem „Kampf gegen rechts“, die veröffentlichte Meinung prägt. Auch die derzeit in der öffentlichen Wahrnehmung dominierenden Corona Schutzmaßnahmen dürfen in diesem Zusammenhang gesehen werden, da sie sich der gleichen hypermoralischen Argumentationsmuster bedienen, die auch zur Durchsetzung zum Beispiel der Klimarettung oder der „Ehe für alle“ verwendet wurden. Es darf jedoch angezweifelt werden, dass die ursprünglichen Ziele der 68er Bewegung, so moralisch überspannt sie waren, tatsächlich in der Ideologie der politischen Korrektheit ihren Ausdruck finden.
Vielmehr unterlagen die politischen Forderungen der Studentenbewegung als Folge des Marschs durch die Institutionen einem tiefgreifenden Wandel, indem nicht nur viele Vertreter der 68er selbst Teil des Establishments wurden, sondern vor allem dadurch, dass man die Forderungen der 68er zu einem Mittel des Establishments umwandelte , die eigenen Interessen durchzusetzen, so dass wir es heute weniger mit authentischen Forderungen der 86er zu tun haben, sondern nur noch den für diese Generation typischen hypermoralisch geprägten Argumentationsmuster begegnen. Sei es um einen Maskenzwang durchzusetzen oder die Zwangsfinanzierung des öffentlich rechtlichen Rundfunks zu rechtfertigen. Immer bedient man sich der gleichen „argumentativen“ Mittel, schwingt die Rede vom Gemeinwohl und bezeichnet Kritiker als egoistisch und unmoralisch.
Politikverdrossenheit
Ein direktes Ergebnis der aufkommenden politischen Korrektheit war die Politikverdrossenheit, die in den 1990ern einsetzte und zeitweilig, bis zur Gründung der AfD, zu einem erheblichen Rückgang der Wahlbeteiligung führte. Hintergrund war die von vielen Menschen unbewusst wahrgenommene, zunehmende Inszenierung der politisch-gesellschaftlichen Ereignisse durch die Massenmedien, die immer weniger Berichterstattung betrieben und immer mehr dazu übergingen, die Gesellschaft im Sinne der neuen Ideologie umzugestalten und zu lenken.
Wir können heute sicher sein, dass Themen wie Klimawandel, Rettung von Flüchtlingen, Transgender, Corona und „Gefahr von rechts“ deswegen so prominent in der Gesellschaft diskutiert werden, weil diese Themen gezielt von den Massenmedien immer und immer wieder an die Öffentlichkeit herangetragen werden. Es handelt sich bei diesen Themen also nicht um gesellschaftlich relevante Themen, sondern um gezielt veranstaltete Spektakel, mittels derer ganz andere gesellschaftspolitische Ziele zur Verwirklichung kommen sollen.
Dies spürten die Menschen zumeist unbewusst und vermieden es deshalb, sich überhaupt noch politisch zu beteiligen. Mit dem Aufkommen der AfD änderte sich dies scheinbar und die Wahlbeteiligung stieg wieder an. Da viele hoffen, die AfD wäre eine echte Alternative, auch wenn es Anlass gibt anzunehmen, dass auch die AfD längst zu einem Teil des massenmedialen Spektakels verkommen ist, bei dem es nicht mehr um die wirklich relevanten politischen Themen geht, sondern nur noch um inszenierte Fragen, die in keinem relevanten Zusammenhang mit der Wirklichkeit mehr stehen. Eine dieser Fragen ist die regelmäßig heraufbeschworene „Gefahr von rechts“.