Filmkritik: „Inception“ von Christopher Nolan
„Inception“ von Christopher Nolan gehört neben „Shutter Island“ zu den spannendsten Filmen des sogenannten „mindfuck“- oder „Bewusstseinskinos“. Dieses Genre existiert seit den 1990ern und zeichnet sich durch Protagonisten aus, die als Folge psychischer Erkrankungen oder traumatischer Erfahrungen nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Traum, der Realität und ihren Wahnvorstellungen unterscheiden können und wollen.
Dem Zuschauer ist also nicht klar, ob die im Film erzählte „Wirklichkeit“ nur der Wahnvorstellung des Helden entspricht. Häufig werden die Kinobesucher im Verlauf dieser Filme sogar mehrfach „getäuscht“, da miteinander konkurrierende Erzählungen der Wirklichkeit gegeneinander antreten und nicht endgültig geklärt werden kann, welche Version der Wirklichkeit tatsächlich der Realität entspricht und welche nicht.
So dringt in Christopher Nolans Film „Inception“ eine Gruppe Traumspione in die Träume des Erbens eines großen multinationalen Energiekonzerns ein, um dessen Unterbewusstsein im Auftrag der südostasiatischen Konkurrenz zu manipulieren. Ziel der Traumspione ist es, dem Erben die Idee einzupflanzen, er solle doch den Konzern seines Vaters zerschlagen. Die Konkurrenz hofft, auf diese Weise einen unliebsamen Konkurrenten zu beseitigen.
Mithilfe eines Tricks überzeugen die Traumspione den Konzernerben innerhalb seines Traums, sein Traum wäre die Wirklichkeit und er müsse sich in einen künstlichen Traumzustand versetzen lassen, um die Hintergründe für seine, in Wirklichkeit nur geträumte Entführung zu erfahren. So verschachtelt sich der Film in mehrere miteinander verwobene Träume und die Traumspione dringen immer tiefer in das Unterbewusste des Konzernerbens ein.
Schließlich gelingt es den Traumspionen, in der tiefsten Traumschicht die gewünschte Idee zu verankern. Traumspion Cobb, gespielt von Leonardo DiCaprio, vergleicht dabei die während des Träumens eingepflanzten Ideen mit Viren. Ähnlich wie ein Virus ein Gehirn befällt und nicht mehr zu entfernen ist, verbreitet sich eine geschickt ins Unterbewusstsein gepflanzte Idee im Denken eines Menschen und kann nicht mehr aus der Gedankenwelt dieses Menschen entfernt werden:
„Welches ist der widerstandsfähigste Parasit? […] Eine Idee! Resistent, hochansteckend; wenn eine Idee einen Verstand erst einmal infiziert hat, ist es fast unmöglich, ihn zu entfernen. […] Eine Idee ist wie ein Virus, resistent, hochansteckend und die kleinste Saat einer Idee kann wachsen. Sie kann Dich aufbauen oder zerstören.“ (Traumspion Cobb im Film “Inception”)
(“What is the most resilient parasite? […] An idea. Resilient… highly contagious. Once an idea has taken hold of the brain it’s almost impossible to eradicate. […] An idea is like a virus, resilient, highly contagious. The smallest seed of an idea can grow. It can grow to define or destroy you.”)
Der Film arbeitet dabei mit verschiedenen Traumwelten, um die einzelnen Traumebenen voneinander zu unterscheiden. Er lässt dabei jedoch absichtlich offen, ob Traumspion Cobb am Ende des Films wirklich wieder in der Wirklichkeit erwacht, oder in einem Traum stecken bleibt, den er mit der Realität verwechselt. Wie in allen „mindfuck“-Filmen ist die Realität in Christopher Nolans Film also ein höchst brüchiges Konzept.
Mit der Frage konfrontiert, ob denn der Held am Ende des Films wieder erwacht oder weiterträumt, gab Nolan 2015 gegenüber dem Guardian an, dass es dem von Leonardo DiCaprio gespielten Charakter Cobb am Ende schlicht und ergreifend gleichgültig ist, ob er weiterträumt oder nicht:
„Es interessiert ihn nicht mehr wirklich und damit wird eine Aussage getroffen: vielleicht sind alle Ebenen der Wirklichkeit gleichwertig.“
(“He didn’t really care any more, and that makes a statement: perhaps, all levels of reality are valid.”)
Gleichzeitig scheint Christopher Nolan dem Wirklichkeitsverlust einer zunehmend durch Medienkonsum bestimmten Welt kritisch gegenüberzustehen. In seinem Interview mit dem Guardian führte er weiter aus:
„In der weitverbreiteten Tradition gewissen Reden [vor Studienanfängern] sagt jemand normalerweise immer etwas in der Art, dass man ‚seinen Träumen nachjagen solle’, aber genau das möchte ich Ihnen nicht sagen weil ich das nicht glaube,“ sagte er. „Ich möchte, dass Sie ihrer Wirklichkeit nachjagen.“
(“In the great tradition of these speeches [to undergraduates], generally someone says something along the lines of ‘chase your dreams’, but I don’t want to tell you that because I don’t believe that,” he said. “I want you to chase your reality.”)
Weiter erklärte Nolan:
„Ich habe das Gefühl, dass wir über die Jahre angefangen haben, die Wirklichkeit als armseligen Cousin unserer Träume zu begreifen, in einer gewissen Weise… Ich möchte Ihnen gegenüber behaupten, dass unsere Träume, unsere virtuellen Realitäten, diese Abstraktionen, die wir konsumieren und mit denen wir uns umgeben, Unterstufen der Wirklichkeit sind.“
(“I feel that, over time, we started to view reality as the poor cousin to our dreams, in a sense … I want to make the case to you that our dreams, our virtual realities, these abstractions that we enjoy and surround ourselves with, they are subsets of reality.”)
Nolan steht damit nicht nur in der Tradition der in linksliberalen Kreisen so verbreiteten poststrukturalisitischen Philosophie, welche die Wirklichkeit als bloße Erzählung entlarven möchte, sondern er geht darüber hinaus, indem er darauf verweist, dass eine Gesellschaft, die ihre Wirklichkeit nur noch als armselig begreift und vor dieser in massenmediale Scheinwelten flüchtet, ein sehr ernstes Problem hat: Sie hat den Zugang zur eigenen Realität verloren.
Und genau das ist es, was der Film “Inception” mit seinem ungewissen Ende sehr schön verdeutlicht. Anstelle sich der sehr harten und traumatischen Realität zu stellen, ist es dem Helden am Ende gleichgültig, ob er träumt oder wach ist. Die Erfüllung seines Wunschtraums ist ihm wichtiger als die Gewissheit, wieder in der Wirklichkeit erwacht zu sein.