Die Deutungshoheit für historisch bedeutsame Ereignisse liegt bei den Mächtigen. Geschichte wird, wie das Nietzsche so schön im Zarathustra formulierte, von den Siegern geschrieben. Dass aber immer mehr Fragen zur Corona-Krise öffentlich gestellt werden, zeigt, das tektonische Gefüge der Macht ist in Bewegung und damit ist auch die Deutungshoheit zunehmend freigegeben.
Die vordergründigen Fragen sind zwar:
Stand hinter den global verhängten Ausgangssperren nur ein massenmedialer Hype? Oder war die staatlich verordnete Isolation der Menschen tatsächlich medizinisch sinnvoll?
Mit Blick auf die Zukunft muss man jedoch vor allem fragen:
Werden die Ausgangssperren nun alle zwei Jahre bei jedem neuen Virus immer wieder neu verhängt? Werden die Einschränkungen bei jeder neuen Pandemie immer schärfer und die Überwachung der Menschen immer allumfassender?
Schließlich lassen sich Viren, anders als Menschen nur schwer einsperren. Sie mutieren, verwandeln sich und finden immer neue Infektionswege. Viren waren schon immer da und Viren wird es immer geben. Krankheit und Tod sind unabänderlicher Bestandteil des menschlichen Lebens.
Wird also die Menschheit in Zukunft, um sie vor Krankheit und Tod zu schützen, dauerhaft in Isolationshaft gesteckt? Das Auftreten immer neuer Viren und Pandemien wird sich zumindest nicht verhindern lassen.
Kirchengeschichtlich jedoch einmalig vor diesem Hintergrund ist die Schließung der Kirchen zu Ostern. Das hat es selbst im Frühchristentum in dieser Form nicht gegeben. Trotz damaliger Verfolgungen versammelten sich die Christen im Untergrund, in den Katakomben Roms und feierten dort die Auferstehung Christi. Wohlwissend, dass die römische Staatsmacht sie dafür jederzeit gefangen nehmen und den Löwen zum Fraß vorwerfen konnte. Die Menschen haben damals also anders als heute Ostern gefeiert, obwohl sie wussten, dass sie damit ihr Leben riskierten. Ostern 2020 hingegen blieben die Kirchen erstmalig seit 2000 Jahren geschlossen. Aus Angst vor einem Virus. Dabei hätte die durch das Virus ausgehende Gefahr für Risikogruppen leicht eingedämmt werden können, ohne das ganze gesellschaftliche, wirtschaftliche und religiöse Leben für alle Menschen lahm zu legen.
Die Angst des modernen Menschen vor Krankheit und Tod scheint jedoch alles andere zu überwiegen. In einem Land wie Brasilien protestierten die Menschen sogar für Ausgangssperren und damit für die eigene Inhaftierung durch die Staatsmacht. Indem aber Krankheit und Tod mit allen Mitteln aus dem Leben ausgesperrt werden sollen, wird das Leben selbst zur Unmöglichkeit. Aus Angst vor dem Tod leben die Menschen nicht mehr, sondern gehen in Isolationshaft. Sie vermeiden das Leben, um es nicht zu verlieren.
Diese Lebensvermeidung aus Angst vor dem Tod, ist jedoch schon eine Art von Tod. Dies hat sicher mit dem Verlust der spirituellen Dimension im globalen Bewusstsein zu tun. Der Mensch versteht sein Leben immer weniger als einen Übergang hin zu Gott, sondern zunehmend nur noch als eine kurze Zeitspanne, an die er sich krampfhaft klammern muss, bis seine Existenz durch den Tod ausradiert wird. Er hat seinen Bezug zu Gott und damit seinen Zugang zum österlichen Mysterium verloren.
Insofern hat das Virus natürlich etwas Erschreckendes. Das wovor der moderne Mensch sein Leben lang davonrennt, nämlich Krankheit und Tod, offenbart nun plötzlich wieder seine Allgegenwärtigkeit. Ja, wir können jederzeit sterben. Wir wissen nicht, wann oder wie uns der Tod langsam oder plötzlich überrascht.
Davon einmal abgesehen ist statistisch betrachtet das eigene Zuhause nicht der ungewöhnlichste Ort, einen schweren Unfall zu erleiden, krank zu werden oder zu sterben. Dieses krampfhafte Klammern an das eigene Leben, kann sich also schnell in sein Gegenteil verkehren und sehr oft kommt das, wovor wir panisch davonrennen, durch die Hintertür wieder zu uns zurück. Krankheit und Tod sind unabänderlicher Bestandteil der menschlichen Existenz. Indem wir vor ihnen davonrennen, räumen wir ihnen erst wirkliche Macht über uns ein.
Wie sagt Jesus in der Übersetzung von Luther so schön:
„Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.“ (Matthaeus 16:25)
Und natürlich ist diese Aussage Jesu für den modernen Menschen geradezu eine Provokation. Bei Twitter zu Corona gepostet, würden die Verantwortlichen so etwas vermutlich löschen. Denn warum sollte ich mich nicht mit allen Mitteln an mein Leben klammern, also lieber das Leben vermeiden, als es zu verlieren, da ich doch sonst nichts habe und alles verloren ist, wenn ich sterbe?
Doch Jesus geht über diese erste Aussage sogar noch hinaus. Er sagt nicht nur, dass ich mein Leben wagen muss, um wirklich zu leben, sondern auch, dass ich das wahre Leben erst finden werde, wenn ich bereit bin, mein Leben für ihn zu verlieren. Für den modernen Menschen ist an dieser Stelle sicher vollständig Schluss. Warum sollte ich so etwas wie das wirkliche Leben finden, wenn ich mich nicht mehr krampfhaft an mein Leben klammere? Jesus Antwort auf diese Frage ist eindeutig:
„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ (Johannes 12:24)
Heißt das, ich muss Krankheit und Tod in meinem Leben annehmen können, um fruchtbar zu werden und das wahre Leben zu erfahren? Kommt daher diese nonchalante Lässigkeit im Umgang mit dem eigenen Leben, wie sie so mancher Heilige in früheren Zeiten hatte? Ein schönes Beispiel ist für mich immer noch der Heilige Maximilian Kolbe, der im Konzentrationslager Auschwitz freiwillig sein Leben für einen Familienvater ließ und dessen Tod nicht nur in dieser Hinsicht für die Menschheit viel Frucht brachte.
Vielleicht könnte man in freier Abwandlung eines bekannten Sponti-Spruchs an dieser Stelle sagen:
„Wer lebt, kann verlieren. Wer nicht lebt hat schon verloren.“
Das Leben zu vermeiden, um es nicht zu verlieren, ist ganz sicher die falsche Antwort auf Covid-19. Richtiger wäre, wieder das Leben zu wagen und auf das österliche Mysterium zu schauen: Christus ist von den Toten auferstanden.
Ist das nicht etwas übertrieben? Es gab ja keine Ausgangssperre über Ostern. Es wurden lediglich Gruppenansammlungen untersagt. In Italien und Spanien waren die staatlichen Anordnungen viel schlimmer.
Ich kann mir auch vorstellen, daß einige Epidemologen im Nachhinein, wenn es z.B. auch Erfahrungen damit gibt, wie sich eine schrittweise Aufhebung der Beschränkungen auswirkt, zu dem Schluß kommen, daß einige Maßnahmen vielleicht garnicht notwendig gewesen wären.
Es gibt sicher viele Argumente, die für und wider bestimmte Maßnahmen sprechen.
Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen: Aberglaube ist definitiv keines davon.
Die Urchristen haben nicht nur die Auferstehung Christi gefeiert, sondern auch den bevorstehenden Weltuntergang.
Der Aberglaube in seiner christlichen Ausprägung hat eine massive Tendenz zum Nihilismus.
Das will ich Ihren Äußerungen nicht unterstellen, da es verständlich ist, daß man bei schönem Wetter an Ostern hinausgehen und den Frühling genießen will.
Es ist auch verständlich, daß Menschen zusammen feiern wollen, sei es eine Messe, ein Gottesdienst, eine Techno-Party oder auch nur einen Geburtstag bei einer Grillparty. Der Hedonismus will auch befriedigt werden.
Nur ist es andererseits auch verständlich, daß es Menschen gibt, die am Leben ihrer Angehörigen und Bekannten hängen und die in der Vorstellung, daß im Jenseits alles besser wird, keinen Trost finden.
Und keiner von diesen Menschen möchte sich in der Situation wiederfinden, daß er sich mit anderen darüber streiten muß, ob nun seine Mutter/Vater, Freund/in – wer auch immer geliebt wird – im Krankenhaus ordentlich behandelt und gepflegt wird oder ob jemand anderes den Vorrang hat.
Und dafür macht es Sinn, keine Großveranstaltungen zu besuchen.
Aberglaube ist vielleicht tröstlich, aber auch keine Lösung.