„Wir sind Linksstaat“ Die Image-Kampagne des Justizministeriums

Da die Zeit drängte, musste ich vor anderthalb Jahren einmal persönlich nach Berlin-Kreuzberg, um dort ein kleines, in einer alteingesessenen Firma hergestelltes Maschinenteil abzuholen. Kaum war ich jedoch am Kottbusser Tor aus dem Bahnhof  gestiegen, wurde ich von 9 oder 10 Schwarzafrikanern umringt, die mir lachend und lautstark über Koks, Speed und Marihuana, alle möglichen Drogen zum Verkauf anboten.

Ein ganz normaler Vormittag in Berlin also, könnte man sagen. Hätten da nicht in Hörweite, in vielleicht vier Metern Entfernung zwei Polizisten gestanden. Beide waren jung und sahen aus, als würden sie regelmäßig Kraftsport betreiben. Zusätzlich trugen sie schusssichere Westen, Schlagstöcke und Schusswaffen offen zur Schau. Fragend blickte ich zu den beiden Polizisten hin, diese schauten kurz gelangweilt zurück und drehten sich dann wieder weg, als sie die lauten Koks und Marihuana Rufe der Afrikaner hörten.

Da ich das letzte Mal bewusst als Jugendlicher in Kreuzberg war und damals die Drogendealer beim Erscheinen der Polizei noch dezent hinter Büschen und Hausecken verschwanden, blickte ich gespannt in Richtung der beiden Polizisten. Würden die beiden irgendetwas unternehmen?

Zugegeben, dieser Gedanke war naiv. Vielmehr wurden die Namen der angeboten Drogen nur noch lauter ausgerufen. Die Dealer witterten vielleicht das große Geschäft und bildeten einen dichten Ring um mich. Ihre Körper berührten mich von allen Seiten.

Also bahnte ich mir, wie alle anderen, mit gesenktem Blick und ausgestreckten Armen einen Weg durch die Gruppe. Die beiden Polizisten schauten noch nicht einmal hin und plauderten gelassen weiter.

Sicher wird mir jeder Berliner entgegenhalten, was ich erlebt habe, wäre nicht der Rede wert. Das ist der ganz normale Alltag in Berlin. Also: Mund halten und durch! Dennoch, dies war bezogen auf den deutschen Rechtsstaat für mich nicht die einzige ernüchternde Erfahrung und bei weitem nicht die schwerwiegendste.

„Wie groß ist Ihr Vertrauen in die Justiz in Deutschland?“ fragte eine durch den Focus Anfang 2019 in Auftrag gegebene repräsentative Studie: Knapp 45 Prozent der Teilnehmer antworteten mit „sehr gering“ beziehungsweise „eher gering“. In den neuen Bundesländern liegt das Misstrauen gegenüber der Justiz sogar bei rund 52 Prozent. Das ist ein erheblicher Befund. Man kann sogar sagen, das Vertrauen vieler Deutscher in den Rechtsstaat ist grundlegend dahin.

Um offiziell diesem Vertrauensverlust der Bürger entgegenzuwirken, startete entsprechend im September 2019 das Bundesjustizministerium eine breitangelegte Imagekampagne „Wir sind Rechtsstaat“. Und warb zum Beispiel mit großen Anzeigen in der FAZ und einem Imagefilm bei Youtube:

Mit Slogans, wie „Wir sind Liebe“ – der Imagefilm zeigt dabei ein küssendes homosexuelles Paar –  oder: „Wir sind Vielfalt“ – nun ist ein junger Nordafrikaner im Film zu sehen – sollen die „Errungenschaften des Rechtsstaats anschaulich“ dargestellt und das Vertrauen der Bürger zurückgewonnen werden.

Die Ironie dabei ist natürlich nicht nur, dass sich die Kampagne des Justizministeriums ausdrücklich nicht an jene richtet, deren Vertrauen in den Rechtsstaat verloren gegangen ist. Die gezielt ins Spiel gebrachten Themenbereiche wie „Ehe für alle“ und „positive Auswirkungen der Massenmigration“ haben eine identitätsstiftende Wirkung nur für jene, die sich mit dem vorherrschenden politischen Programm identifizieren. Wer hingegen Kritik übt und das schließt Kritik am derzeitigen Zustand des Rechtsstaates mit ein, stellt sich außerhalb des politisch Sagbaren und Erlaubten. Aber auch das ist eine klare Botschaft des Films.

Das „Wir“ der aktuellen Kampagne meint schließlich kein gesamtgesellschaftliches „Wir“, an das in ihren besten Zeiten die alte Bundesrepublik appellierte. Ein „Wir“, das auf einen gesamtgesellschaftlichen Ausgleich bedacht war und versuchte, möglichst alle Bürger miteinzuschließen. Nein, das neue „Wir“, meint nur noch diejenigen, die sich mit dem politischen Mainstream identifizieren.

Für alle anderen gilt das „Wir sind Rechtsstaat“ nicht, denn sie stehen, so die Botschaft der Kampagne, außerhalb des „neuen, bunten Rechtsstaates“, der mit küssenden Homosexuellen und glücklichen Migranten für sich wirbt.

(Dabei sind Homosexuelle und Migranten, das hier nur am Rande, zu den klassischen Stellvertreterminoritäten zu rechnen. Zu den Stellvertreterminoritäten zählen jene Minoritäten, für deren „Rechte“ stellvertretend der politisch korrekte Mainstream kämpft, ohne dabei zwingend, im eigentlichen Sinn, die Interessen dieser Gruppen zu vertreten.)

Damit wirft diese Kampagne grundsätzliche Fragen auf:

Laut Thomas Hobbes kommt ein funktionierender Staat durch einen „Vertragsschluss“ zustande, bei dem der Einzelne sein Recht auf Selbstregierung an den Staat überträgt. Wenn also der Einzelne die Autorität des Staates anerkennt, dann tut er das im Sinne eines Tauschgeschäfts. Er überträgt an den Staat zum Beispiel das ihm angeborene Recht, sich gegen Kriminelle mit allen Mitteln zu verteidigen. Gleichzeitig finanziert er diesen Staat mit seinen Steuergeldern. Im Gegenzug schützt ihn der Staat mit seinem Gewaltmonopol vor Übergriffen und hält den innergesellschaftlichen Frieden aufrecht.

Dies ist der Zustand, wie wir ihn aus den westlichen Gesellschaften zumindest noch aus der Erinnerung heraus kennen. Gerichtsprozesse werden in einem überschaubaren Zeitraum abgeschlossen. Kriminalität kommt, zumindest am helllichten Tag kaum als Alltagserfahrung vor. Die rechtsstaatlichen Prinzipien werden durch den Staat durchgesetzt. In einem solchen, funktionierenden Staatswesen hält das Militär, bzw. der Grenzschutz gewaltbereite Eindringlinge von der Landesgrenze ab, während die Polizei im Inneren mögliche kriminelle Handlungen schon im Vorfeld erkennt und zu vereiteln sucht. Gerichtsprozesse werden für alle Beteiligten fair geführt.

Versagt aber der Staat als Hüter der Rechtsordnung, geht auch das Vertrauen der Bürger in den Staat selbst verloren. Eine Imagekampagne mit küssenden Homosexuellen wird da nicht ausreichen, um wiedergutzumachen, was verloren gegangen ist.

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